In jedem Betrieb – ganz gleich ob Produktionshalle, Büro oder Lager – kann es plötzlich zu Notfällen kommen: Ein Unfall mit einer Maschine, ein Kollege erleidet einen Kreislaufzusammenbruch oder es bricht sogar ein Brand aus. In solchen Situationen entscheidet eine gut strukturierte und geübte Notfall- und Erste-Hilfe-Organisation oft über den Schweregrad der Verletzung und im Ernstfall sogar über Leben und Tod. Das Arbeitsschutzgesetz ( ArbSchG ) verpflichtet Arbeitgeber, entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Dieser Beitrag zeigt, welche Elemente ein wirksames Notfallkonzept enthalten sollte, wie Betriebe Ersthelfer:innen ausbilden und welche Rolle regelmäßige Unterweisungen spielen.
1. Rechtliche Grundlagen und Pflichten
Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Organisation von Erster Hilfe und Notfallmaßnahmen findet sich an mehreren Stellen. Neben dem ArbSchG ist insbesondere die DGUV Vorschrift 1 (Grundsätze der Prävention) zu nennen, in der die Anforderungen an Erste-Hilfe-Einrichtungen, Material und Personal festgelegt sind. Zusätzlich spielen branchenspezifische DGUV Vorschriften eine Rolle, je nach Gefährdungslage. Die Regelungen verlangen unter anderem, dass stets eine ausreichende Zahl von ausgebildeten Ersthelfern im Betrieb anwesend sein muss – abhängig von der Betriebsgröße und dem Unfallrisiko.
Auch das Arbeitsschutzportal der BAuA liefert Hintergrundinformationen dazu, wie die Erste-Hilfe-Organisation im Betrieb ausgestaltet werden kann. Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass Notrufnummern ausgehängt sind, Erste-Hilfe-Material in ausreichender Menge und Qualität vorhanden ist und die Beschaffenheit der Räumlichkeiten Flucht- und Rettungswege nicht behindert. Darüber hinaus gilt es zu regeln, wer bei Abwesenheit einer Fachkraft den Notfallalarm koordiniert.
2. Die Rolle der Ersthelfer:innen
Ersthelfer:innen sind Beschäftigte, die einen Erste-Hilfe-Lehrgang (in der Regel 9 Unterrichtseinheiten) absolviert haben und bei akuten Notfällen bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes die Erstversorgung leisten. Je nach Größe und Gefährdungsgrad eines Betriebs sieht die DGUV Vorschrift 1 vor, dass entweder 5 % oder 10 % der Beschäftigten als Ersthelfer:innen ausgebildet sein müssen. In „Verwaltungs- und Handelsbetrieben“ wird meist eine Quote von 5 % gefordert, in „sonstigen Betrieben“ eine Quote von 10 %.
Die Ausbildung muss alle zwei Jahre durch eine Auffrischung erneuert werden, damit das Gelernte auch wirklich im Ernstfall abrufbar ist. Für Ersthelfer:innen ist es besonders wichtig, nicht nur die Handgriffe zu kennen (Verbände anlegen, stabile Seitenlage, Reanimation etc.), sondern auch die betriebsinternen Abläufe: Wen rufe ich zuerst an?, Gibt es einen Notfallplan?, Wo befindet sich der Defibrillator? – all das gehört zum praktischen Know-how im Betrieb.
3. Erste-Hilfe-Ausstattung und Notfallmaterial
Eine angemessene Ausstattung ist das Fundament für schnelle Hilfe:
- Verbandkasten und Erste-Hilfe-Koffer: Sie sollten leicht zugänglich und in genügender Anzahl vorhanden sein. Jeder Verbandkasten muss regelmäßig auf Vollständigkeit und Verfallsdaten überprüft werden.
- Augenduschen: Gerade in Betrieben, in denen mit chemischen Stoffen hantiert wird, sind Augenspülflaschen ein Muss. Sie können bei Verätzungen oder Verunreinigungen schnell Abhilfe schaffen.
- Defibrillator (AED): Für Betriebe mit hoher Beschäftigtenzahl oder besonderem Gefährdungspotenzial ist ein AED-Gerät (Automatisierter Externer Defibrillator) sinnvoll. Es ermöglicht auch Laien, bei Herz-Kreislauf-Stillstand zügig lebensrettende Maßnahmen einzuleiten.
- Notrufnummern und Rettungspläne: Auf Aushängen sollten alle relevanten Rufnummern (Rettungsdienst, Betriebsarzt, Werkschutz) sowie ein Lageplan mit Flucht- und Rettungswegen zu sehen sein. Das sorgt dafür, dass im Ernstfall keine wertvolle Zeit mit Suchen verloren geht.
4. Notfallpläne und Evakuierungsübungen
Neben der Erste-Hilfe-Organisation im engeren Sinne, die sich vor allem auf individuelle Unfälle oder medizinische Notfälle bezieht, müssen Betriebe auch auf größere Ereignisse wie Brände oder Gefahrstoffaustritte vorbereitet sein. Ein klar strukturierter Notfall- und Evakuierungsplan legt fest:
- Wer alarmiert in welchem Fall welche Stellen (Feuerwehr, Rettungsdienst)?
- Welche Anweisungen gelten für die Belegschaft? (z. B. Sammelpunkte im Freien, Einsatz von Löschern, Schließen von Türen und Fenstern)
- Wo befinden sich Fluchtwege, Notausgänge, Sammelpunkte? Gibt es gesperrte Zonen?
Um diese Pläne im Gedächtnis der Beschäftigten zu verankern, empfiehlt es sich, ein- bis zweimal pro Jahr Evakuierungsübungen durchzuführen. Bei einer realitätsnahen Übung lässt sich überprüfen, ob alle Flucht- und Rettungswege frei sind und ob sich die Mitarbeitenden an die vorgegebenen Abläufe halten. So werden Schwachstellen schneller erkannt und können beseitigt werden.
5. Schulungen und Unterweisungen
Eine Notfall- und Erste-Hilfe-Organisation lebt von regelmäßigem Training und klaren Informationsketten. Arbeitgeber sind verpflichtet, die Beschäftigten über Erste-Hilfe-Themen, Evakuierungsverfahren und Meldewege zu unterweisen. Dabei sollte nicht nur passiv Wissen vermittelt werden, sondern möglichst praxisorientiert:
- Kurze praktische Einheiten: Wie lege ich einen Druckverband an? Wie bediene ich einen Defibrillator? Wo finde ich den nächsten Verbandkasten?
- Wiederholungen: Am besten in regelmäßigen Abständen, damit das Wissen präsent bleibt. Auch das Thema Brandschutz sollte integriert werden.
- Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit einbinden: Diese Experten können Schulungsinhalte mitgestalten und spezifische Risikofaktoren des Unternehmens erläutern.
Nicht zuletzt spielt auch die psychologische Komponente eine Rolle: Beschäftigte sollten das Gefühl haben, dass sie im Notfall nicht hilflos sind, sondern klare Vorgaben und Unterstützung erhalten. Dies kann die Bereitschaft fördern, im Ernstfall beherzt einzugreifen, anstatt tatenlos zuzusehen.
6. Dokumentation und Evaluation
Damit alles lückenlos nachvollziehbar bleibt, gehört eine solide Dokumentation zu einer professionellen Notfall- und Erste-Hilfe-Organisation. Hierzu zählen:
- Protokolle über durchgeführte Übungen (Wer hat teilgenommen? Welche Mängel gab es?)
- Nachweise über Schulungen und Fortbildungen (z. B. für Ersthelfer:innen)
- Regelmäßige Checklisten zur Überprüfung des Erste-Hilfe-Materials (Ist alles vollständig und im Verfallsdatum?)
Nach jedem realen Zwischenfall empfiehlt sich eine Nachbesprechung („Debriefing“), um festzustellen, was gut gelaufen ist und wo Verbesserungspotenzial besteht. So bleibt die Organisation stets aktuell und kann auf neue Risiken oder sich ändernde Personalstrukturen angepasst werden.
Fazit
Eine Notfall- und Erste-Hilfe-Organisation ist weit mehr als das Aufhängen von Notrufnummern und das Aufstellen eines Verbandkastens. Sie umfasst die klare Zuständigkeit für Ersthelfer:innen, gut strukturierte Notfallpläne, regelmäßige Unterweisungen sowie Evakuierungsübungen. Unternehmen, die diese Aspekte ernst nehmen und in ein umfassendes Sicherheitskonzept integrieren, schaffen nicht nur Vertrauen bei den Beschäftigten, sondern können im Ernstfall Arbeitsunfälle und gesundheitliche Schäden deutlich minimieren. Ein Betrieb, der gut auf Notfälle vorbereitet ist, zeigt Verantwortungsbewusstsein und Professionalität – und trägt entscheidend zur Prävention bei, die das Arbeitsschutzgesetz fordert.
Weiterführende Links
- Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)
- DGUV Vorschrift 1 (Grundsätze der Prävention) und andere Publikationen
- BAuA: Informationen zur Ersten Hilfe im Betrieb
- BG ETEM: Erste Hilfe
- DGUV: Erste Hilfe im Unternehmen
- BG Verkehr: Erste-Hilfe-Organisation
- ASR – Technische Regeln für Arbeitsstätten (allgemeine Hinweise)